29. März 2024 Timo Hörske - persönlicher Blog
Stadttheater Bremerhaven - Terror

Terror im Stadttheater Bremerhaven – eine Rezension

Das juristische Kammerspiel Terror von Ferdinand von Schirach ist spätestens seit der Verfilmung „Terror – Ihr Urteil“ der ARD ((http://www.daserste.de/unterhaltung/film/terror-ihr-urteil/index.html)) aus 2016 in aller Munde. Jetzt können die Theaterbesucher auch in Bremerhaven für einen Abend Schöffen sein.

Am Sonntag war es wieder soweit, wir waren im Stadttheater Bremerhaven. Das erste Mal im kleinen Haus, an diesem Nachmittag durften wir zu den Zuschauern zählen die entscheiden wie das Stück ausgehen soll.

Terror – Der Fall

Die Inszenierung von Alexander Schilling behandelt den von Schirach erdachten und hypothetischen Fall, den es aber in seiner Aktualität so oder so auch in der Realität geben könnte:

Ein ziviles Flugzeug mit 164 Passagieren und der Besatzung wird von einem Terroristen entführt. Der Entführer plant genau auf ein ausverkauftes Fußballstadion zu stürzen. Wie bei solchen Fällen üblich, wird die Luftabwehr eingeschaltet. Einer der beiden Piloten der Abfangstaffel, der Angeklagte Major Koch, wartet in seinem Kampfjet auf die Entscheidung seines Vorgesetzten, ob er das Flugzeug abschießen soll. 70.000 Zuschauer im Stadion können gerettet und dabei 164 Menschen getötet werden.

Nach einem erfolglosen Abdrängen der gekaperten Maschine, einem ignorierten Warnschuss lautet der Befehl nicht zu schießen. Im letzten möglichen Augenblick entscheidet sich Koch doch das Feuer auf die Maschine zu eröffnen. Zurück am Boden wird er sofort wegen 164-fachen Mordes verhaftet.

Die Entscheidung

Der Zuschauer als Schöffe muss entscheiden, ob er dafür verurteilt werden soll. Die Frage, die sich stellt: Darf man Menschenleben gegeneinander aufwiegen? Die Staatsanwältin verweist auf die Unverletzlichkeit der Würde des Menschen, nach Artikel 1 des Grundgesetzes, und fordert eine Verurteilung. Der Verteidiger ist anderer Auffassung und zieht andere Argumente heran, um einen Freispruch für den Angeklagten zu erwirken. Am Ende fordert der Richter die Zuschauer auf, das Urteil zu fällen. So wie sie entscheiden, wird er es verkünden.

Am Sonntag gab es einen knappen Freispruch, so wie auch in vielen anderen Aufführungen in ganz Deutschland.

„Terror“ behandelt das sogenannte Trolley-Problem (Artikel folgt) aus juristischer Sicht.  Das Gedankenexperiment fordert die Zuschauer auf sich auf philosophisch, moralische Weise dem europäischen Ideal der Aufklärung zu nähern, die Bedürfnisse nach einem wehrhaften Staat und der Abwägung zwischen dem Leben Einiger dem Überleben vieler gegenüber abzuwägen.

Inszenierung am Stadttheater Bremerhaven

Die Aufführung in Bremerhaven ((https://www.stadttheaterbremerhaven.de/schauspiel/terror/)) war gut gemacht, die Schauspieler überzeugten mit textsicherer und von Ihrer Rolle stark inspirierten Darstellung. Der Vorsitzende Richter gespielt von Kay Krause schaffte es mühelos für Ruhe und stringente Verfahrensabwicklung zu sorgen. Auch, den Angeklagten verkörpernde, Hennig Bäcker konnte mit seiner Figur einem gewinnenden Ausdruck verleihen.

Für mich etwas überzogen wirkte der Verteidiger Biegler dargestellt von Konstantin Bühler. Natürlich muss und soll der Verteidiger ein Gegenentwurf zur Stränge des Gerichtes darstellen um auch der gegengesetzten Argumentation Ausdruck zu verleihen. Dieser Gegenentwurf ist doch in der Bremerhavener Inszenierung überzeichnet. Für mich wirkte er wie ein Hippie, der versuchte Anwalt zu sein. Etwas schwach war für meinen Eindruck auch Julia Friede als Staatsanwältin Nelson. Genau wie die Verteidigung wirkte die Staatsanwältin überstreng und überzeichnet. Dies passt aus meiner Sicht wenig zur Vorlage von Schirach, da die Anwältin bei der Befragung des einzigen Zeugen, dem Vorgesetzten von Koch – Christian Lauterbach aka Matthias Unruh, durchaus die Schuld anderer zu beleuchten scheint. Die Nebenklägerin Franziska Meiser wird von Isabel Zeumer gespielt.

Das Bühnenbild war schlicht und passte überzeugend zur Situation, wo wie im echten Gerichtssaal das gesprochene Wort mehr zählt, als die äußere Gestalt der Kammer. Positiv ist auch die schnelle und effektiv organisierte Abstimmung. Bei 69 Gästen hatten heute 38 für Freispruch und 29 für Verurteilung, bei 2 ungültigen Stimmen, gestimmt.

Alles in allem ein schönes Schauspiel, dass für Bremerhavener Verhältnisse wirklich gelungen war. Dem Stück eigen ist aber eine kontroverse Debatte, die das Trolley-Problem, das einen rein philosophischen Hintergrund hat, in einen juristischen Kontext einbettet.

Ferdinand von Schirach selbst, Anwalt und Autor des Stücks, hätte seinen Protagonisten lebenslang in Haft geschickt. Der Soldat habe zwar Leben gerettet, es gebe „aber nur den tragischen, den schuldigen Helden, nie den glücklichen”. „In unserem Fall hieße das: Abschuss und anschließend lebenslänglich ins Gefängnis.”

Kritik am Fall des Major Koch

Es gibt jedoch Kritik an dem offenen Ende und auch an beiden möglichen Lösungen. Das Stück suggeriert meiner Meinung nach zu deutlich, dass es im deutschen Strafrecht keinen Unterschied zwischen rechtswidrigem Verhalten und persönlich vorwerfbarer Schuld gibt. So ist es aber durchaus möglich, dass eine Tat Unrecht sein kann, ohne dass der Täter sich schuldig gemacht hat. Dies kann dann der Fall sein, wenn er sich wie der Pilot in einem unauflösbaren Gewissenskonflikt befunden hat.

Wir können dankbar sein, nie in einer solchen Situation zu sein: Ganz allein dort oben, das Flugzeug steuert auf das vollbesetzte Stadion zu, es bleiben nur Sekunden für die Wahl für oder gegen den Abschuss. Jemand der in einer solchen existenziellen Notsituation eine Entscheidung trifft, den trifft strafrechtlich keine Schuld, auch wenn die Entscheidung rechtlich falsch, also Unrecht war. Dieses Unrecht können wir ihm nicht zum Vorwurf machen.

Das Strafgerichtsbuch kennt den entschuldigenden Notstand. Nach § 35 StGB ist ein Mensch ohne Schuld, auch wenn er durch eine rechtswidrige Tat Gefahr von sich selbst oder Angehörigen abwendet. Hätten also beispielsweise sich Ehefrau und Kind im Stadion befunden, dann wäre der Abschuss, um sie zu retten, Unrecht, aber entschuldigt gewesen.

Der entschuldigende Notstand lässt sich im vorliegenden Fall zwar nicht direkt, aber dennoch parallel anwenden. Wichtig ist, dass der Angeklagte tatsächlich in Entscheidungsnot war und nicht nur seine eigenen Wertvorstellungen durchsetzen wollte. Dass im ersten Fall ein solcher „übergesetzlicher entschuldigender Notstand” greift, das ist unter Juristen herrschende Meinung. Demgemäß gibt es die juristische Schwierigkeit, das v. Schirach beschreibt nicht. Der Fall des Major Koch lässt sich mit dem geltenden und bewährten Strafrecht entscheiden. Es geht in einem Strafprozess, den das Stück ja vorspielt, nicht um ein Moralproblem, sondern um die rechtliche Lösung eines Gewissenskonfliktes.

Im Stück wird relativ konkret ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Nichtigkeit einzelner Paragraphen des Luftsicherheitsgesetzes zitiert ((http://www.bverfg.de/e/rs20060215_1bvr035705.html)). Demnach darf der Staat niemals eine Anordnung treffen, die auf konkrete Leben gegen Leben abwägt. Dies wäre nicht mit der Menschenwürde vereinbar. Nicht Teil der Entscheidung des Verfassungsgerichts aber war es, ob ein Pilot, der den Knopf drückt, individuelle Schuld auf sich lädt. Gerade um die individuelle Schuld geht es in einem Strafprozess. Von Schirach macht in seinem Stück diesen Unterschied nicht klar, dies ist für mich ein schwerer Fehler. Damit werden die Zuschauer in die Irre geführt und Ihr Vertrauen in unsere Verfassung und unsere Gesetze in Frage gestellt, da es scheinbar nicht mit einem solchen hypothetischen Problem umgehen könne obwohl unsere Strafgesetze solch einen Fall eindeutig abbilden.

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